Schon wieder blaue Zungen und offene Mäuler! Leiden Dressurpferde für den perfekten Auftritt?
- pferdewelten
- 5. März
- 3 Min. Lesezeit
Bilder von Weltcup-Qualifikationsturnieren der letzten Zeit werfen Fragen auf: Experten haben „erhebliche Bedenken in Bezug auf das Wohlergehen“ der vorgestellten Pferde – wird Pferdeleid in der Dressur belohnt?

Eine Gruppe angesehener Wissenschaftler hat besorgniserregende Fotos von Dressurpferden bei Weltcup-Qualifikationen veröffentlicht.
Die Bilder sollen belegen, dass der Einsatz von Kandarenzäumen in der Dressur erhebliche Schmerzen verursacht. Doch warum fällt das erst jetzt auf – und warum erhielten diese Pferde trotzdem Bestnoten?
Blau verfärbte Zungen und gequälte Mäuler
Veterinärmediziner aus Australien, Neuseeland und Finnland haben in Zusammenarbeit mit dem Fotografen Crispin Parelius Johannessen umfangreiches Beweismaterial zusammengestellt. Ihre Aufnahmen zeigen Dressurpferde mit gequetschten, teils bläulich verfärbten Zungen und weit aufgerissenen Mäulern.
Besonders alarmierend: Die Deformationen und der Druck auf empfindliche Mundpartien halten nicht nur Sekunden an, sondern bestehen über weite Strecken der Ritte hinweg.
PhD-Studentin Cristina Wilkins erklärt gegenüber horseandhound.co.uk: „Was uns am meisten besorgt, ist die massive Kompression der Zunge – und die Dauer dieser Belastung.“ Die Forscher argumentieren, dass diese Art der Zäumung eine extrem schmerzhafte ischämische Reaktion hervorrufen könne, die durch unterbrochene Blutzufuhr entsteht.
Dressurpferde unter Schmerzen? Wissenschaftler schlagen Alarm
Die Wissenschaftler haben ihre Erkenntnisse der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) übermittelt. Die Bilder stammen von mehreren Weltcup-Turnieren in Europa und zeigen unter anderem die Pferde namhafter Reiterinnen und Reiter wie etwa Patrick Kittel und Lottie Fry. Auch aus Deutschland sind Reiterinnen im Fokus: Isabell Werth und Ingrid Klimke.
In ihrem Schreiben an die FEI erklären die Experten: „Unsere Bilder beweisen, dass die Zäumung zu schmerzhaften Deformationen des Zungen- und Lippengewebes führt. Die hohe Empfindlichkeit dieser Bereiche macht das besonders problematisch.“
Schockierend: Die betroffenen Pferde erhielten dennoch Höchstnoten. Das wirft die Frage auf, ob Dressurrichter solches Leiden übersehen oder gar tolerieren.
Fotograf verteidigt seine Aufnahmen: „Kein Zufall, sondern eindeutige Beweise“
Crispin Parelius Johannessen ist nicht nur Fotograf, sondern selbst Reiter. Er nutzt eine High-End-Kamera, die kleinste Details einfängt – und widerspricht Kritikern, die behaupten, seine Aufnahmen seien nur Momentaufnahmen:
„Ich habe in einem einzigen Ritt über 9.000 Bilder geschossen. Das sind lange Sequenzen, die belegen, dass diese Schmerzen nicht nur für Sekunden bestehen.“
Er wurde bereits beschuldigt, seine Fotos manipuliert zu haben, doch unabhängige Experten bestätigten ihre Echtheit.
Reiter wehren sich: „Die Bilder zeigen nicht das ganze Bild“
Isabell Werth und Ingrid Klimke haben sich gegen die Vorwürfe gewehrt. Werth betont, dass die Aufnahmen nicht die gesamte Performance widerspiegeln und lediglich einzelne Momente festhalten: „Pferde sind keine Maschinen. Natürlich gibt es Momente, in denen sie sich gegen das Gebiss wehren, aber das bedeutet nicht, dass sie durchgehend Schmerzen haben.“
Sie ist der Ansicht, dass Pferde bei halben Paraden für Übergänge in eine niedrigere Gangart kurzzeitig das Maul öffnen. Für Werth steht fest: „Ich glaube nicht, dass Quantaz Schmerzen durch das Gebiss in dem Wettbewerb erlitten hat. Im Gegenteil, er ist ein starkes, stolzes, selbstbewusstes Pferd, das sich nicht unterwirft.“
Auch Klimke fordert eine sachliche Debatte. Sie weist darauf hin, dass es sich bei den Bildern um Schnappschüsse handele und sie keinen konstanten, andauernden Zustand zeigen würden. Der Gebrauch der Kandare allerdings sollte ihrer Ansicht nach durchaus objektiv auf den Prüfstand gehoben werden:
„Wenn wissenschaftlich bewiesen wird, dass die Kandare, verglichen mit Alternativen wie der Trense, dem Wohl der Pferde schadet, sollten wir darüber diskutieren. Wir alle wissen, dass es Momente geben kann, insbesondere bei Turnieren, wo ein stärkerer Kontakt nötig sein kann – etwa um eine Bewegung in Perfektion zu zeigen oder einfach, um Sicherheit von Pferd und Reiter sicherzustellen. Das wird vermutlich nie ganz zu vermeiden sein.“
FEI und Deutsche Reiterliche Vereinigung reagieren
Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) hat eine Untersuchung eingeleitet. FN-Geschäftsführer Dennis Peiler betont: „Wir werden uns auch Videoaufnahmen ansehen, um eine objektive Einschätzung zu treffen.“
Die FEI prüft ebenfalls die eingereichten Beweise, hat aber bislang keine Konsequenzen verkündet.
Wie geht es weiter? Zukunft der Kandare in der Diskussion
Die Debatte um die Pflicht zur Kandarenzäumung im internationalen Dressursport nimmt erneut Fahrt auf. Ingrid Klimke plädiert für eine wissenschaftlich fundierte Diskussion. Für sie stellt sich die Frage: Sollten wir wirklich noch an diesem traditionellen Hilfsmittel festhalten, wenn es dem Pferd schadet?
Klar ist: Diese Bilder werden Konsequenzen haben – doch ob sie den Dressursport dauerhaft verändern, bleibt abzuwarten.
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